Armutsfalle: viele Kinder können nicht in den Urlaub fahren

Im Feriencamp der Arche, sind Kinder deren Familien kein Geld für Urlaub haben. Neben spendenfinanzierten Projekten wie diesem gibt es auch eine staatlich geförderte Urlaubsmöglichkeit für Familien mit kleinem Einkommen: Die Familienferienstätten. Ihr Angebot richtet sich vor allem an Familien mit kleinem Einkommen. Jetzt soll den Ferienstätten laut Kabinettsbeschluss die Bundesförderung gekürzt werden.

REPORT MAINZ liegt der Brandbrief der Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung vor. Darin heißt es, dieser drohe durch die Kürzung der Zerfall. Auch Andreas Hase Vorstand mehrerer Einrichtungen befürchtet zahlreiche Schließungen. 


Hier im Feriencamp bei Berlin sind Kinder, deren Familien sich keinen Urlaub leisten können. Kinder die von den schönen Orten dieser Welt nur träumen, so wie die siebenjährige Megan. 

Megan, 7 Jahre;  
„Bei Paris gibt es so einen Eiffelturm. Und in der Nacht leuchtet er wunderschön. Da gibt's andere Essen, Hüte. Das muss da sehr toll sein. “   

Doch für Megan heißt es erste einmal basteln im Sommercamp. 

Megan, 7 Jahre:
„Ich hab einen Bruder und eine Schwester. Meine Schwester heißt Mina, mein Bruder heißt Moritz.“ 

Für Urlaub habe die alleinerziehende Mama kein Geld.  

Megan, 7 Jahre: 
„Meine Mama kann nicht arbeiten, weil meine Schwester keinen Kitaplatz hat. Wir brauchen einen für sie.”   

Auch für Aaron und seine Brüder ist die kostenlose Freizeit die Chance mal rauszukommen. 

Aaron, 9 Jahre: 
“Ich war noch nicht so beim Urlaub. Das einzigste, wo ich jetzt war, ist hier. Weil meine Mutter hat nicht so viel Geld um sich das zu leisten. 

Kein Geld für Familienurlaub 

120 Plätze gibt es hier im Camp vom christlichen Kinderhilfswerk Arche. Alle gratis. Die Nachfrage: deutlich größer. Viele Kinder können nicht mit.  Stephanie Siebelt hilft heute ehrenamtlich. Als ihre drei Kinder noch klein waren, war sie alleinerziehend, das Arche-Camp Zufluchtsort für die Kinder. Für Familienurlaub reicht das Geld noch immer nicht, trotz Arbeit.   

Stephanie Siebelt, Pflegeassistentin & alleinerziehende Mutter
Stephanie Siebelt, Pflegeassistentin & alleinerziehende Mutter | Bild: SWR

Stephanie Siebelt, Pflegeassistentin: 
„Familienurlaub gab es so noch nie. Mir tut es selber in der Seele weh. ich möchte mehr geben. Aber finanziell die Lage ist so angespannt, dass wir es gar nicht schaffen. Und das frustriert ein und macht ein auch sauer und traurig.“    

Kinderhilfsprojekte wie diese finanziert die Arche zu 95 Prozent über Spenden. Rund 18 Millionen Euro im letzten Jahr. Reichen würde dies bei weitem nicht, erklärt der Archeleiter Bernd Siggelkow. 

Bernd Siggelkow, Leiter Kinderhilfswerk Arche
Bernd Siggelkow, Leiter Kinderhilfswerk Arche | Bild: SWR

Bernd Siggelkow, Leiter Kinderhilfswerk Arche: 
“Natürlich müssen wir alles kompensieren, was der Staat versaut. Ich sage immer, der Erfolg der Arche ist der Misserfolg der Gesellschaft.” 

Ihr Kind kann in diesem Sommer nicht wegfahren: Wiken Bronsts 15-jähriger Sohn war bisher nur ein einziges Mal im Urlaub. Die alleinerziehende Mutter ist Betreuerin im Pflegeheim. Wir treffen sie in einer fremden Wohnung, aus Scham will sie die eigene nicht zeigen.  

Wiken Bronst, Bewegung “#IchBinArmutsbetroffen”
Wiken Bronst, Bewegung “#IchBinArmutsbetroffen” | Bild: SWR

Wiken Bronst, Bewegung “#IchBinArmutsbetroffen”: 
Wenn der Lütte jetzt in die Schule kommt, nach den Sommerferien, und das wird dann irgendwie gefragt: „Ja, wo wart ihr?“, dann ist er einer derjenigen, der eben sagen muss: Ja, wir waren zu Hause. Das macht mich traurig. Ja. Also weil Urlaub oder also in den Urlaub fahren ist eben Kultur. Andere Kulturen kennenlernen, Horizont erweitern. Es ist ein bisschen Allgemeinbildung, und das wird meinem Kind verwehrt.” 

Einen Tagessausflug in den Heidepark habe sie ihrem Sohn dennoch ermöglicht, erzählt sie. Mühsam habe sie dafür gespart, kein Obst mehr gekauft. Ihr Sohn sollte auch etwas erleben. 

Mehr als jedes fünfte Kind armutsgefährdet 

3 Millionen Kinder und Jugendliche sind armutsgefährdet, zeigt eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Mehr als jedes fünfte Kind, erzählt Anette Stein, Expertin der Stiftung. 

Anette Stein, Bertelsmann Stiftung: 
“Kinder und Jugendliche, die von Armut betroffen sind, fühlen sich abgehängt in der Gesellschaft. Sie schämen sich für die Situation. Sie fühlen sich sogar selber verantwortlich dafür.”  

Laut der Studie, können sich knapp 70 Prozent der Familien mit Kindern, die von Sozialleistungen leben keinen einwöchigen Urlaub leisten. Dabei sei der sehr wichtig, sagt Stein. Urlaub sei Teilhabe und kein Luxus. 

Urlaubsmöglichkeit für Familien mit kleinem Einkommen 

Neben spendenfinanzierten Projekten wie der Arche gibt es auch eine staatlich geförderte Urlaubsmöglichkeit: Die Familienferienstätten. Ihr Angebot richtet sich vor allem an Familien mit kleinem Einkommen. Bundesweit gibt es 83 dieser gemeinnützigen Erholungsmöglichkeiten, die vom Bund und teilweise von den Ländern gefördert werden.  

Die achtköpfige Familie Junghans macht Urlaub im Allgäu. Eine Woche kostet hier rund 1.400 Euro. Einen Teil trägt die Familie. Ein anderer Teil wird gefördert. Der Vater ist berufstätig, trotzdem ist die Förderung wichtig.  

Kathleen Junghans, Mutter
Kathleen Junghans, Mutter | Bild: SWR

Kathleen Junghans, Mutter: 
“Im Endeffekt ist das Finanzielle das Ausschlaggebende. Wenn wir die Familienferienstätten nicht hätten, dann wüsste ich nicht, ob wir und wann wir wieder in Urlaub fahren können, weil die Familienferienstätten sind für uns absolut das non-plus-ultra Urlaubsziel.”  

 Existenz von Familienferienstätten gefährdet 

Jetzt soll den Ferienstätten laut Kabinettsbeschluss die Bundesförderung von 1,8 Millionen gekürzt werden. Report Mainz liegt der Brandbrief der Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung exklusiv vor. Darin heißt es, dieser drohe durch die Kürzung der Zerfall.     

Andreas Hase ist Vorstand mehrerer Einrichtungen. Er befürchtet zahlreiche Schließungen. 

Andreas Hase, Familienerholungswerk der Diözese Rottenburg-Stuttgart e.V.
Andreas Hase, Familienerholungswerk der Diözese Rottenburg-Stuttgart e.V. | Bild: SWR

Andreas Hase, Vorstand Familienerholungswerk der  
Diözese Rottenburg-Stuttgart e.V.: 

“Also dieser Kabinettsbeschluss, ist für uns sehr, sehr drastisch, existenzgefährdend für viele Familienferienstätten und ganz speziell auch für die Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung. Insofern ist es wirklich existenzbedrohlich.“ 

Auf der Webseite des Familienministeriums wirbt man unterdessen weiter mit den Angeboten der Familienferienstätten. Zur geplanten Mittelkürzung des Bundes antwortet man uns:  

es “(…) gelten die strikten Kürzungsvorgaben des Bundesfinanzministers”  

Die Einsparungen seien aber nicht existenzbedrohend für die Landschaft der Familienferienstätten.   

Kürzung ein schlimmes Signal 

Anette Stein, Bertelsmann Stiftung
Anette Stein, Bertelsmann Stiftung  | Bild: SWR

Anette Stein, Bertelsmann Stiftung:
“Familienstätten sind ganz wichtige Angebote damit Familien und die Kinder in Familien mit wenig Einkommen eben auch soziale Teilhabemöglichkeiten haben. Insofern sind das wichtige Angebote, die nicht gekürzt werden sollten. Das ist ein schlimmes Signal.”  

Auch bei der geplanten Kindergrundsicherung, dem Prestigeprojekt gegen Kinderarmtut, gibt es wegen des Geldes Dauerstreit in der Koalition. Familienministerin Paus fordert 12 Milliarden jährlich für die Kindergrundsicherung. Doch Finanzminister Lindner will nur zwei Milliarden bereitstellen. Ausgang offen. 

Anette Stein, Bertelsmann Stiftung: 
“Wenn wir eine Kindergrundsicherung haben wollen, die wirklich wirksam gegen Armut hilft, dann werden wir auch Geld in die Hand nehmen müssen, was deutlich über 2 Milliarden Euro liegt.” 

Bis dahin sind es weiter spendenfinanzierte Einrichtungen wie die Arche, die sich um die Ärmsten der Gesellschaft kümmern und Feriencamps wie diese organisieren müssen. 

Bernd Siggelkow, Kinderhilfswerk Arche:
“Meine Aufgabe ist eine staatliche Pflichtaufgabe, die wir trotzdem erledigen. Und mein Wunsch ist, die Arche zu schießen. Wenn nämlich die Kinderarmut bekämpft ist, braucht es keine Arche mehr.” 

Währenddessen träumt die kleine Megan weiter von den schönen Orten dieser Welt.  

Megan, 7 Jahre: 
“Ich möchte mal zu Disneyland hin. Da gibt es so eine Achterbahn, da kann man was gewinnen, da kann man sehr viel machen. Achterbahn macht vielen Kindern Spaß!”  

Stand: 02.08.2023 14:21 Uhr